Gastbeitrag von Nicole Malek
Ein neuer Blick auf eine Bauhaus-Pionierin: Lucia Moholy in Prag
Letzte Woche besuchte ich in Prag die Ausstellung “Exposures” über Lucia Moholy – eine Fotografin und Künstlerin, die trotz ihres bedeutenden Einflusses auf die Fotografie bisher oft im Schatten ihrer männlichen Zeitgenossen stand. Die Schau offenbart nicht nur Moholys vielseitiges Schaffen, sondern zeichnet auch die faszinierende Entwicklung der Fototechnik nach: von den Glasplattennegativen ihrer Bauhaus-Zeit über experimentelle Techniken bis hin zu ihrer bahnbrechenden Arbeit mit Mikrofilmen während des Zweiten Weltkriegs.
Die Ausstellung bot einen fesselnden Einblick in Moholys Leben und Werk. Besonders beeindruckend fand ich persönlich die zahlreichen Porträts. Die umfassende Präsentation wirft auch ein neues Licht auf das Bauhaus, indem sie Moholy nicht nur als Fotografin, sondern als vielseitige Künstlerin und Intellektuelle zeigt, deren Einfluss weit über ihre Zeit am Bauhaus hinausreichte.
Geboren als Lucie Schulz in Prag, zog Moholy während des Ersten Weltkriegs nach Deutschland, wo sie im Verlagswesen arbeitete. Nach ihrer Heirat mit László Moholy-Nagy 1921 entwickelten sie gemeinsam in ihrem Essay “Produktion-Reproduktion” (1922) innovative Ideen zur visuellen, textlichen und auditiven Reproduktion.
Während ihrer Zeit am Bauhaus in Weimar und Dessau schuf Moholy ikonische Aufnahmen der Architektur und porträtierte ihre Kollegen. 1929 trennte sie sich von László Moholy-Nagy (ihre Ehe wurde 1934 offiziell geschieden). In den folgenden Jahren lebte sie mit Theodor Neubauer zusammen, einem kommunistischen Reichstagsabgeordneten und Widerstandskämpfer. Als Neubauer 1933 verhaftet wurde und sich die Bedrohung für Moholy aufgrund ihrer jüdischen Abstammung verschärfte, sah sie sich gezwungen, Deutschland zu verlassen. Bei ihrer überstürzten Flucht musste sie Hunderte wertvoller Glas – Negative zurücklassen, die sie der Obhut von Walter Gropius und László Moholy-Nagy anvertraute.
In London eröffnete Moholy ein Porträtstudio und schrieb “A Hundred Years of Photography 1839–1939”. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete sie als Informationstechnologiewissenschaftlerin im Bereich Mikrofilm am Victoria and Albert Museum. Als Leiterin des Mikrofilmservice der Aslib kopierte sie geschmuggelte deutsche wissenschaftliche Veröffentlichungen für den strategischen Einsatz Großbritanniens im Krieg. Zudem entwickelte sie eine innovative Methode, mit der verwundete Soldaten Texte im Bett lesen konnten.
Nach dem Krieg bereiste Moholy den Nahen Osten und arbeitete mit der Universität Ankara zusammen. 1959 ließ sie sich in Zürich nieder, wo sie als bedeutende Fotografin anerkannt und in feministische Revisionen des Kunstkanons einbezogen wurde. Sie verfasste Kunstkritiken für das Burlington Magazine und war Herausgeberin wichtiger Publikationen.
Jahrelang kämpfte Moholy um die Rückgabe ihrer Bauhaus-Negative, die Walter Gropius in die USA mitgenommen hatte. Ihre Fotografien, oft ohne Quellenangabe veröffentlicht, prägten maßgeblich die öffentliche Wahrnehmung des Bauhauses. 1957 erhielt sie viele Negative zurück, doch 330 gelten noch immer als vermisst. In den 1980er-Jahren beschrieb sie diesen Vorgang als “eine erschütternde Erfahrung”.
Die Ausstellung “Exposures” würdigt Moholys vielseitiges Schaffen und ihren bedeutenden Beitrag zur Fotografie, Kunst und Informationswissenschaft. Sie beleuchtet auch bisher übersehene Themen wie Dokumentation, künstlerisches Experimentieren und fotomechanische Reproduktion. Die Ausstellung in der Kunsthalle Prag läuft noch bis 28. Oktober 2024.
Kuratiert von Meghan Forbes, Jan Tichy und Jordan Troeller In Zusammenarbeit mit Christelle Havranek Ein besonderes Highlight war für mich das Museumscafé im oberen Stock, wo man auf dem Balkon sitzend den Blick auf die Prager Burg genießen kann – ein perfekter Ort, um die Eindrücke dieser faszinierenden Ausstellung Revue passieren zu lassen.
In der Fotogalerie:
Handyfoto 1: Die Ausstellung ist über verschiedene Ebenen verteilt und durch die außergewöhnliche Architektur auch von unterschiedlichen Punkten zu sehen.
Handyfoto 2: Glasplatten – Negative von Portraits, aber auch von verschiedenen Fotoexperimenten, in diesem Display sehr gut aufgebaut und ausgeleuchtet.
Handyfoto 3: Ein Auszug aus Moholys Arbeit zum Thema visuell exakt dargestellte Mitteilungen. Sie beeinflusste maßgeblich die Außenwirkung des Bauhauses.
Handyfoto 4: Ihre Portraits sind meine Favoriten. Zur Ausstellung gibt es ein Buch, das ich hier empfehlen möchte: Lucia Moholy: Exposures
Handyfoto 6: Spiel mit Licht und Schatten: Microfilme teilen Gänge ab.
Handyfoto 7: Im obersten Stock dann ein Shop, Bücherecke und das erwähnte Cafe – mit Blick auf die Burg.
Links:
Kunsthalle Prag https://www.kunsthallepraha.org/en
Gastbeitrag von Nicole Malek
https://malek.show/
https://nicole-malek.com/
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