Die Frage ist immer „Warum hat er/sie meine Email nicht beantwortet?“. Diese grundlegend falsche Frage wird von Leuten gestellt, denen alles jetzt passiert und dabei nicht mehr über den eigenen viel zu hohen Tellerrand blicken können. Die Selbstzweifel zerstören die richtige Frage im Keim, nämlich die danach, „Wann wird er/sie sich mit dem Internet verbinden und das Verzeichnis aufrufen, in das mein Text hineinkopiert worden ist?“. Die Arbeit an der Rezension für das Buch von Douglas Rushkoff „Present Shock – Wenn alles jetzt passiert“ führt mich durch die oben geschilderte Schlüsselstelle zu einer völlig anderen Rezension, als ich sie eigentlich verfassen wollte. Es schleichen sich persönliche Erfahrungen und Gedanken ein, die ich versucht war, auszublenden. Aber letztendlich liegt genau hier der Grund, warum mich das Buch interessiert. Und daran, warum auch mir immer wieder die Frage gestellt wird, warum ich denn die Email, die von gerade eben, nicht beantworte, bin ich nicht unschuldig. Ich habe eine Erwartungshaltung geweckt, die mich mittlerweile an vielem in der sogenannten schnelllebigen Zeit stört. Die Geister die ich rief…..
Somit komme ich zum Buch und der Betrachtung von Rushkoff. In Kapitel eins bekommen wir erklärt, wie es zu dem narrativen Kollaps gekommen ist und ist das Vorkapitel zur Digiphreni, in dem es um eine Bestandsaufnahme des Jetzt geht. Darin erscheinen die Geister die ich rief und bekomme gesagt, wie ich sie wieder loswerde. Das hat seinen Preis. Abschalten. Spätestens jetzt wird klar, das wir uns abhängig gemacht haben wie von einer Droge. Aber nicht nur das, denn es wird von vielen Seiten erwartet, dass wir die Droge konsumieren.
Wie der Entzug möglich ist, beschreibt Rushkoff. Welche Auswirkungen die Unterwerfung des Menschen von je her hatte und warum wir heute immer noch in diesem Prozeß stecken, werden anschaulich erklärt. Der Autor stellt nicht einfach nur Thesen auf, er untermauert seine Ansicht durch Beispiele der Zeitgeschichte und des Jetzt. Das Buch ist für jeden lesenswert, der im Gegenwartsschock nicht länger verbleiben will oder verstehen will, wie er in diesen hineingeraten konnte. Rushkoff zeigt radikale Methoden auf, sich all dem zu entziehen. Es bleibt aber auch die Möglichkeit seine eigenen Konsequenzen zu erarbeiten. Die Digiphrenie muss nicht länger gegenwärtig bleiben.
Gerade kommt eine eMail herein und ich switche um. Verdammt, die Droge wirkt. Der Entzug wird beginnen.
Weiterführender Link: orange-press
Schreibe einen Kommentar